Die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation – und Ludwig Güttler feiert mit. Denn der Musiker, der unter anderem den Wiederaufbau der Frauenkirche in Dresden vorantrieb, weiß, welche Kräfte das Reformieren freisetzen kann. Auch wenn Veränderungen zunächst riskant erscheinen.
Herr Güttler, die evangelische Kirche feiert 500 Jahre Reformation. Warum feiern Sie mit?
Luther hat ja selbst gesagt: Eine Kirche, die reformiert, muss ständig reformiert werden. Das ist der entscheidende Anspruch: Sich nirgends bequem einzurichten, auch in scheinbar Erfolgreichen. Sondern Ermutigung zu ziehen aus dem, was gelungen ist, und die Verpflichtung daraus abzuleiten, weiter, konsequenter, tiefer, nachhaltiger zu fühlen, zu denken und zu handeln. Das heißt auch, mal ins Risiko zu gehen und nicht nach dem Motto zu leben: „Ich säe erst, wenn ich weiß, dass ich auch ernte.“ Dass wir das Kirchturmdenken hinter uns lassen, ist mir ein wichtiges Anliegen als Reformations-Botschafter. Ich suche immer nach Menschen, die wie Luther etwas verändern wollen. Die nicht einfach anderen Menschen Vorschläge machen, was sie zu machen hätten, sondern sich selbst einbringen.
Wo ist Ihnen das gelungen?
Ein Beispiel: Ende der Siebzigerjahre haben wir für die Schlosskirche in Chemnitz, damals Karl-Marx-Stadt, einen Orgelfonds aufgelegt, obwohl es vielen Leuten erst einmal nicht begreiflich zu machen war, dass die ja noch funktionierende Orgel irgendwann eine Erneuerung braucht. Aber wir haben trotzdem Konzerte gegeben, um einen Grundstock für den Fonds aufzubauen. Gegen einen Trend oder eine Mehrheit von Bedenkenträgern das Wichtige und Richtige zu tun, hat etwas mit Reformation heute zu tun. Das haben wir auch beim Wiederaufbau der Frauenkirche erlebt. Er hat damals große Unruhe hervorgerufen, auch viel Gegenwehr. Wenn wir uns ausschließlich nach dem Willen der demokratischen Instanzen gerichtet hätten, hätten wir sofort von dem Begehren Wiederaufbau ablassen müssen. Und wir hätten heute nicht die Gelegenheit, durch die Frauenkirche zu gehen.
Welche Frage würden Sie Luther stellen, wenn Sie mit ihm durch die Kirche gingen?
Ich würde ihn fragen, was er den Menschen in der gegenwärtigen politischen Situation zurufen würde. Ich glaube, er würde auf die christlichen Tugenden eingehen, die bildhaft in der Kuppel beschrieben sind: Glaube, Liebe, Hoffnung und Barmherzigkeit. Und er würde mit allem Nachdruck darauf hinweisen, dass das Gleichnis vom barmherzigen Samariter heute und jetzt dran ist.
Die Reformation begann damit, dass Martin Luther seine 95 Thesen in Wittenberg veröffentlichte. Welche These würden Sie heute an eine Kirchentür schlagen?
Etwas Radikales: Tue recht und scheue niemand, egal wie er heißt und was er für ein Amt hat! Freu dich über das, was du mitbekommen hast an Gaben und Begabung. Und wisse, dass wenn du eine Begabung hast, darin auch eine Verpflichtung liegt, sie zu verlebendigen und zu realisieren!
Was sollte das Reformationsjubiläum in der evangelischen Kirche bewirken?
Es wäre wunderbar, wenn wir uns dessen bewusst werden, was das Reformieren für Kräfte freisetzen kann. Die Kräfte derer, die etwas bewegen können, weil sie es sich zutrauen – und das sind ja immer die wenigsten –müssen geschont und befördert werden. Sie sollen sich nicht in bürokratischen Prozessen verbrauchen müssen. Außerdem hoffe ich, dass in der Kirche mehr Begeisterung, mehr Schwung, mehr Luft unter den Flügeln zu bemerken ist.
Von Luther stammt der Spruch: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Was würden Sie machen?
Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich versuchen, Luther zu übertreffen: Ich würde zwei Apfelbäumchen pflanzen!