Heilige Stille,
Du bist plötzich bei uns erschienen und zuerst haben wir Dich gar nicht erkannt, denn wir wollten Dich nicht kennen und Dir vor allen Dingen keinen Einlass in unser Haus erlauben. Doch man hat Dich einfach reingeschubst, ohne uns zu fragen.
Plötzlich bekamen wir keinen Besuch mehr, alles war ganz still bei uns! Wir trauten uns kaum noch aus dem Haus, höchsten wenn es ganz nötig war zum Beispiel um etwas zu Essen ein zu kaufen. Dann haben wir unser Gesicht verhüllt und gingen los. So ist es geblieben und bleibt auch vorläufig weiter so. Wir vermissten weder den Lärm noch das Hupen der Autos oder das Rufen auf der Strasse.
Wir sassen ja allein im Haus und gewöhnten uns an die Ruhe und die Stille und das Allensein. Ich bin zwar allein. Doch nicht einsam, denn Telefone und andere technische Hilfmittel erreichen mich und auch ganz selten eine liebevolle Stippvisite von einem Tag. Und dann ist da mein grösster Schatz, das sind meine Enkelkinder, neun an der Zahl, die sich soviel Trost und Freunde für mich ausdenken, Musik und selbstgemalte Bilder aus dem Kunstkurs oder bunte Briefe oder die Abizeugnisse.
Sie schicken Anfangs Videos von Ihren Reisen, später dann von Ihren Erlebnissen und Erfahrungen.
Aber die Stille bringt uns nicht nur Zeiten der Ruhe, Zeiten der Geduld und der Nachdenklichkeit, sondern auch manche Dunkelheiten an düsteren Abenden und in finsteren Nächten, die schon am Nachmittag beginnen.
Dann helfen mir meine Lieder, die Trostlieder, die ich im Konfirmandenunterricht gelernt habe und jetzt im Kopf für mich aufsage, so dass ich drinnen und draussen nicht allein bin.
Alle Dunkelheiten kann ich jetzt im November und im Dezember als Durchgang und Weg zum Licht empfinden und da will ich hinkommen. Die ersten Lichter sind da, der Advent ist gekommen und das Leuchten fürhrt uns zum grossen Weihnachtsstern.
Inge Tipke