Glaube und Humor

Predigt von Dorothea Kühl-Martini vom 23.01.2012

„Lacht!“ forderte der Jesuitenpater Karl Rahner seine Gemeinde auf, „denn dieses Lachen ist das Bekenntnis, dass Ihr Menschen seid.“

„Glauben ist die Heiterkeit, die von Gott kommt“, sagte Johannes der XXIII.  „Humor schließt das Herz auf.“ Da erübrigt sich die Frage, ob Glaube und Humor zusammen passen. Jesus hat schließlich keine Drohbotschaft, sondern die Frohe Botschaft schlechthin verkündet.

Wie zeigt sich nun der Humor zwischen evangelischer Freiheit und katholischer Sinnenfreude?

„Du bist also doch nicht katholisch. Du hast kein Talent zu feiern“, lässt Martin Walser in seinem Roman „Muttersohn“ Elsa sagen.
Das bringt auf den Punkt, wie man uns Protestanten humormäßig einschätzt. Es hält sich immer noch das Gerücht, Protestanten seien ernste Menschen, die verbissen ihre Pflicht tun.  Müßiggang ist bekanntlich aller Laster Anfang.

Der Kabarettist Jürgen Becker setzt noch einen drauf:

„Ich bin so froh, dass ich nicht evangelisch bin,
die haben doch nichts anderes als arbeiten im Sinn.
Als Katholik da kannste pfuschen,
dat eine is jewiss,
am Samstag gehste beichten und fott is der janze Driss.
Moral ist nur erträglich, wenn sie doppelt ist.“

Es stimmt natürlich nicht, dass die Protestanten keinen Humor haben und das Leben eher in büßender Haltung durchschreiten. Da gibt es z.B. die Tagung der Ev. Akademie Meißen unter dem Thema: „Kommunikation mit Humor und Kreativität“. Dazu sind Gäste aus Wissenschaft und Praxis eingeladen, die sich in Fachvorträgen und Workshops mit Humor beschäftigen. Prof. Schröter-Wittke spricht über den gewagten Dreisprung Kirche – Humor – Kommunikation und Rita Schlote-Kahlstorf bietet ein Lachtraining an.

Karl Barth schreibt drei Wochen vor seinem Tod: „Ein Christ treibt dann gute Theologie, wenn er im Grunde immer fröhlich, ja mit Humor bei seiner Sache ist.“

Ein guter Vorsatz, aber wie sieht es nun in der Realität aus?
Unser Verteidigungsminister Thomas de Maiziere, ein überzeugter Protestant, bekennt, dass er streng mit sich selbst ist. Wer das nicht sei, verlottere und mache zu viele Fehler. Er fügt allerdings hinzu, ein Leben nur mit Disziplin mache auch keinen Spaß. Besonders lebendig fühle er sich nach starker körperlicher Belastung. Dieser Mann braucht keinen Karneval, um sich abzureagieren.

Jetzt geht sie ja wieder ihrem Höhepunkt zu, die närrische Zeit.
Ich muss in diesem Zusammenhang gestehen, dass ich in Bethel geboren bin, der westfälischen Hochburg protestantischer Wohltätigkeit. Gewickelt wurde ich auf dem Schreibtisch meiner Eltern zwischen Herrnhuter Losung und Lutherbibel. Die Welt um mich herum war geprägt von Posaunenchören, Diakonissen, Theologiestudenten und strenggläubigen Missionaren. Selbstverständlich wurde dort kein Karneval gefeiert. Studiert habe ich in Tübingen und Hamburg, beides Hochburgen des Protestantismus. Ich war völlig unvorbereitet auf das, was mich im Rheinland erwartete.

Während sich der sinnenfeindliche Protestant seiner Frühjahrsdepression hingibt oder ein Kolloquium abhält, kommt der Katholik schon richtig in Fahrt. Musik, die die Stimmung anheizt, ausgelassene Bewegungen, farbenprächtige Kleidung und geistige Getränke bringen Hormone und Kreislauf in Wallung. Was stören da kühle Witterung und karge Vegetation?

Der vernunftgeleitete Protestant hat für diese närrische Form der Belustigung kein Sensorium. Wenn man aus Bielefeld oder Hamburg kommt, bedarf es schon eines gewissen Lockerungstrainings, um unbeschwert am rheinischen Karneval teilnehmen zu können. Dabei ist es eine durchaus ernst zu nehmende Sache, die da auf Straßen, in Sälen und Kneipen tobt. Es ist der Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen himmlischem Gottesreich und vergänglicher irdischer Pracht. Natürlich siegt zum Schluss das Gute. Am Aschermittwoch ist alles vorbei.

Aber vorher wird geschunkelt und jebützt. Ja, der ansonsten von einer engen Sexualmoral gegängelte Katholik küsst nun jede und jeden, sogar Polizisten. Ob Katholiken besser als Protestanten küssen, ist statistisch nicht zu beweisen, öfter auf jeden Fall. Der Friedenskuss, der Heilige Kuss, der päpstliche Kuss des Bodens.

Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass es auch einen evangelischen Karneval gibt: die Baseler Fasnacht. Sie beginnt Montag nach Aschermittwoch – die Protestanten zählen hier anders als die Katholiken – bei absoluter Dunkelheit, um Punkt vier Uhr Morgens mit dem Morgenstraich. Sie dauert exakt 72 Stunden. Immerhin haben die Gaststätten durchgängig geöffnet.

Jeder weiß, dass der Mensch, besonders der Mann kein Heiliger ist. Das weiß auch die katholische Kirche und deshalb gibt es die Beichte. Der Protestant dagegen trägt schwer an seinem Gewissen. In einem Kopenhagener Hotel hängt in jedem Zimmer ein diskreter Hinweis: „Wenn Sie nicht schlafen können, geben Sie nicht gleich dem Bett die Schuld. Prüfen Sie Ihr Gewissen.“ Dänen sind zu 98% Lutheraner.

Im Karneval lebt der Katholik seine subversive Seite aus. Sechs Tage Anarchie, in denen sich auch seine Sprache weit von der Normalität entfernt und er unvermittelt Alaaf, Helau oder I A ausruft. Auch trifft es nicht den feinsinnigen Humor des Hamburger Protestanten, wenn erwachsene Menschen, Humba Humba Humba täterä lautstark intonieren.

Nachdem sich alle menschlichen Triebe ausgetobt haben, erfolgt eine seelisch-geistige Wendung nach innen und oben. Der Katholik fastet. Er hat die verlockende Möglichkeit, jährlich wiederkehrend das Leben großer Heiliger nachzuvollziehen. Erst ausleben, dann büßen. Denken wir nur an Franz von Assisi, Teresa von Avila oder den Kirchenvater Augustin. Das Besondere an Heiligen ist, dass sie ihren Humor nicht verlieren, selbst während des Martyriums. Humor hat viel mit Liebe und Güte zu tun. Wer die frohe Botschaft ernst nimmt, hat Grund zu lachen.  Im Humor sind Nachklänge des Paradieses geblieben.

Dietrich Bonhoeffer schrieb aus dem Gefängnis, dass Humor den christlichen Glauben in der Not stärke. Pater Alfred Delp machte gar auf dem Weg zu seiner eigenen Hinrichtung einen Scherz. Er fragte den ihn begleitenden Pfarrer nach den letzten Neuigkeiten von der Front und sagte dann: „In einer halben Stunde weiß ich mehr als Sie.“

Wer Humor hat, überwindet leichter auch bedrohlich erscheinende Situationen.

Zurück zum Fasten. Luther hat das Fasten nicht grundsätzlich abgelehnt, jedoch jede Gesetzlichkeit bekämpft. Protestanten dürfen fasten, müssen aber nicht. Die Zeit dürfen sie sich auch aussuchen. Deshalb sprach Luther nicht von der Fasten-, sondern von der Passionszeit.
Der katholische Theologe Georg Schwikart vergleicht den Protestantismus mit Kartoffelpuffern, die mit zu wenig Öl in der Pfanne gebraten werden. Sie schmecken etwas trocken. Über seine eigene Konfession, den Katholizismus, sagt er, er gehe so verschwenderisch mit dem Öl um, dass einem die fettigen Dinger schwer im Magen lägen.

Sind Protestanten wirklich so trocken? Etwas scheint dran zu sein, wenn wir uns einer Erfindung zuwenden, die in gewissem Sinne die Welt verändert hat.

Im amerikanischen Battle Creek wartete eine christliche Schar auf die dicht bevorstehende Wiederkunft Christi. Die Adventbewegung versteht sich als der Reformation angehörig. Um sich für den Aufstieg in den Himmel besser zu rüsten, versuchte man sich zu läutern. Geistig, aber auch leiblich durch eine fleischlose, fettarme Ernährung und den Verzicht auf Alkohol, Kaffee und Tee.

Während Katholiken fröhlich versuchen, sich die Fastenzeit mit Karpfen blau und allerlei Süßspeisen schmackhaft zu machen, quälen Protestanten sich freiwillig. Dank  großzügiger Definition gelangte auch Geflügel auf die katholische Fastentafel. Am Wasser wohnende Tiere wie Enten galten als Fisch. Selbst Hühner wurden erlaubt, weil Gott Vögel und Fische an einem Tag schuf. Biber galten als Wasservögel wie auch Ferkel, die in einen Brunnen gefallen waren. „Flüssiges bricht das Fasten nicht“ – So mancher Mönch umging das Fasten mit Starkbier. Auch Kakao gilt als Fastenspeise. Schwäbische Mönche wagten noch mehr. Ein Teigmantel sollte Hackfleisch für den Herrgott unsichtbar machen. So entstanden die Maultaschen.

Ein fröhlich souveräner Umgang mit den allzu strengen Regeln.
Ganz anders der Protestant.
Wenn er sich einmal freiwillig zum Fasten entschlossen hat, dann gibt es kein Halten mehr. Sein Gewissen ist strenger als jeder Papst oder Bischof.

1866 öffnete das Western Health Reform Institute in Battle Creek und die Menschen kamen in Scharen, um sich mit theologischen Kursen zu erbauen und mit gesundem Essen und Bewegung an frischer Luft zu stärken. Henry Ford, Rockefeller,  selbst Thomas Edison erschienen. Man war bereit, seine Ansprüche für das hehre Ziel zurückzuschrauben.  Allein das Frühstück aus hartem, geschmacksneutralem Brot fand keinen Anklang.

Durch einen Zufall entstanden die knusprigen Cornflakes. Die Maisflocken sollten, wenn es nach den strenggläubigen Brüdern Kellog ging, die Menschheit auf die Wiederkehr Christi vorbereiten. Inzwischen kann man von einer ökumenischen Ausbreitung der Maisflocken in der ganzen Welt sprechen. Aber wer weiß schon, dass er eine Speise zu sich nimmt, die erfunden wurde, um himmlische Leichtigkeit zu erlangen.

Zur protestantischen Arbeitsethik passt, dass daraus ein erfolgreiches Geschäft wurde. „Des Fleißigen Hand macht reich“, steht schon in Sprüche 10,4.

Wobei wir beim Geld wären. Da hört der Spaß bekanntlich auf. An dieser Stelle kommen wir aber nicht umhin, auf den Zusammenhang von der Jungfrau Maria und dem Euro hinzuweisen.

Wer von Ihnen schon einmal in Neviges war, kennt sie. Auf dem Gnadenbild, einem Kupferstich aus einem 1661 in Köln erschienenen Gebetbuch sehen wir sie. Die Jungfrau Maria vor der Sonne zertritt die Schlange, die sich um die Mondsichel windet. Sie trägt einen Kranz von 12 Sternen. Es handelt sich um die apokalyptische Frau mit dem Strahlenkranz, aus Offenbarung 12. Wenn Sie nun Ihr Portmonee öffnen, entdecken Sie darin ebendiesen Strahlenkranz. Auf den Euromünzen.  Wer Beweise für diesen geheimnisvollen Zusammenhang sucht, der möge auf der Serenissima in den Motta-Alpen die vergoldete Statue der Jungfrau Maria mit dem Strahlenkranz besuchen. Am 12. September 1958 weihte Kardinal Montini von Mailand sie als „Unsere Liebe Frau von Europa“. Jahre später wurden ihre 12 Sterne das Symbol für Europa.

Die Protestanten geben es nicht zu, aber sie haben Angst vor Europa. Dänemark, in dem praktisch die gesamte Bevölkerung der lutherischen Kirche angehört, sieht in der EU eine katholische Monstrosität. Ähnlich geht es Großbritannien. Das evangelische Norwegen hat den Beitritt abgelehnt. Nur kein neues Rom in Brüssel! Protestanten schätzen ihre Freiheit und die eigene Anstrengung mehr als einen riesigen zentral gelenkten Apparat, während sich Katholiken, gewohnt  an die ebenso gelenkte Kirche, wohl und geborgen fühlen. Sie haben sich in Jahrhunderten eine fröhliche Gelassenheit antrainiert, was den Umgang mit allzu strengen Gesetzen angeht. Außerdem ist Rom weit und Brüssel irgendwie auch. Die Protestanten denken immer gleich, man müsse sich an alles halten, was da beschlossen wird.

Kürzlich war ich in Köln. Es war der 6. Januar und die Sternsinger kamen samt Kardinal und etlichen anderen Würdenträgern aus dem Dom, als ich hineinging. Drinnen war alles in geheimnisvollen Nebel gehüllt. „Guck mal, die haben eine Nebelmaschine für ihre Show“, sagte ein Kind. Der Großmutter war das sehr peinlich und sie erklärte ihm, dass Weihrauch der Duft des Himmels sei. Der große Bruder schaltete sich ein: „Da ist dasselbe drin wie im Haschisch“, was der Jüngere ziemlich cool fand.

Es trifft zu, dass bei der heiligen Räucherung THC freigesetzt wird. Das erklärt vielleicht das Phänomen des „Fröhlichen Rheinländers“. Der Kirchgang als bewusstseinserweiterndes Erlebnis bleibt dem Protestanten vorenthalten.

Bischöfin Maria Jepsen erklärte: „Unsere Kirche, die zuweilen so wirkt, als ob alles nur Last und Mühsal sei – das ist eine Folge protestantischer Strenge -, muss nach meiner festen Überzeugung, auch wieder fröhlicher werden. Befreiendes Lachen ist kein Verstoß gegen Gläubigkeit.

Schließen möchte ich mit einem Erlebnis, das ich in einer Dortmunder Kirche hatte. Es war in der Osternacht. Nachdem das Licht an alle weitergegeben worden war, erstrahlte die Kirche von den unzähligen Kerzen. Der nicht mehr ganz junge Pfarrer blickte auf die Gläubigen und rief: „Frohe Weihnachten!“ Verwirrung, erstes Kichern, dann schallendes, befreiendes Lachen. Genau das hatte der Pfarrer bezweckt. Er hatte sich keineswegs versprochen. Das Osterlachen soll Angst und Leiden überwinden und der Botschaft von der Auferstehung als Brücke dienen. Jesus Christus hat Leid und Tod besiegt. Ob evangelisch oder katholisch – Wer die frohe Botschaft ernst nimmt, hat Grund zu lachen.

Amen

Nach oben scrollen