Ehrt jedermann

1. Petrus 2,17: „Ehrt jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehrt den König!“

I. Vorbemerkungen
Der Vorabend eines Wahlsonntags eignet sich in besonderer Weise dazu, über das Verhältnis von Kirche und Politik nachzudenken. Der morgige Wahlsonntag mit der Europawahl und der Kommunalwahl ist also ein guter Anlass für diesen Gottesdienst. Die gesellschaftliche Situation, ich möchte sie einmal als eine Umbruchssituation beschreiben, bietet jedoch auch zusätzlich viele gute Gründe, nicht nur über das Verhältnis von Kirche und Politik, sondern auch über die aktuellen politischen Herausforderungen nachzudenken. Ist Politik ein Thema für die Kirche? Die Antwort lautet ohne Wenn und Aber: „Ja“. Jesu Predigt vom kommenden Reich Gottes enthält von Anfang an die Botschaft, dass die bestehenden Verhältnisse nicht alternativlos sind, sondern dass er ein Reich des Friedens, der Gerechtigkeit und des Rechts will. Darum sind wir Christinnen und Christen nicht nur fromm (und dabei möglicherweise weltvergessen?), sondern die Weltverantwortung, die gesellschaftliche Relevanz des christlichen Glaubens, steht für uns immer auf der auch Tagesordnung. Natürlich werde ich heute keinen Wahlkampf machen. Aber seien Sie auch nicht zu entspannt. Ich bin natürlich auch nicht neutral. Ich habe einen hohen Respekt vor der Arbeit der Parteien. Ich weiß, dass sie mit ihrer Arbeit viele Gelegenheiten haben, sich unbeliebt zu machen. Ich werde aber keine Parteipolitik machen. Als Zugang zum Thema wähle ich die Barmer Theologische Erklärung (BTE – dazu später mehr), deren 80-jähriges Jubiläum wir in diesem Jahr feiern werden.

II. Hören auf 1. Petrus 2,17
1. Fürchtet Gott, ehrt den König!
Beginnen wir mit dem Hören. In diesem Gottesdienst hören wir auf ein Bibelwort aus 1. Petrus 2,17. Dieser Satz ist der V. These der BTE vorangestellt. In dieser These geht es u.a. um die Aufgaben und Grenzen des Staates. Das Bibelwort lautet: Fürchtet Gott, ehrt den König!

  1. Petrus 2,17: „Ehrt jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehrt den König!“
    So sieht keine Staatsreligion und so sieht kein Glaube aus, der staatliche Ordnungen blind legitimiert. Der christliche Glaube segnet nicht ab, was staatliche Ordnungen vorgeben oder die jeweilige politische Führung in ihrer Richtlinienkompetenz festlegt. Der Blick geht zuerst zu Gott. Und Gott ist dabei für Christenmenschen nicht eine Chiffre, die jeder nach seiner Fasson beliebig füllen könnte. Gott ist nicht der, der Ja und Amen zu unserem Tun sagt. Wenn das Neue Testament von Gott spricht, dann hat es den Gott Israels vor Augen, den Vater Jesu Christi. Das ist der Gott, der Israel aus der Sklaverei Ägyptens befreit hat. Das ist der Gott, der sein Volk geradezu beschworen hat, die Rechte der Fremden und der Schwachen zu achten. Das ist der Gott, der die Begrenzung von Arbeit und Gewinnmaximierung um der Menschen willen einfordert; das (Sabbatbzw.) Feiertagsgebot erinnert daran. Das ist der Gott, dem an Schuldenerlass und Zinsverbot liegt. Das ist der Gott, der, „die Gewaltigen vom Thron (stößt) und … die Niedrigen (erhebt). Die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer ausgehen.“ Sie merken: Wer in der biblisch-reformatorischen Tradition Aussagen über Politik und Weltverantwortung sucht, wird wenig Ausgewogenes finden, wohl aber viel Parteilichkeit. Parteilichkeit für die Schwachen, die Abgeschriebenen und die Abgeschobenen.
  2. „Fürchtet (diesen) Gott!“
    Anders formuliert: „Habt Ehrfurcht vor Gott, (und bringt dem Kaiser den schuldigen Respekt entgegen.)“ Vertraut darauf: Der Gott, der das Leben will, meint es gut mit uns Menschen und unserem Zusammenleben. Der Gott, der das Lebendige fördert, will nicht, dass Menschen ums Leben gebracht werden und die Schöpfung zerstört wird. Wer diesen Gott Gott sein lässt, der gewinnt die richtige Einstellung zur Welt, zu seinen Mitmenschen und auch zu den Regierenden. Mit diesem Vorzeichen hören wir die Fortsetzung des Predigttextes. Und die hat dann auch nichts von einem Blankoscheck für die jeweils Regierenden.
  3. „Ehrt den König“
    Manchmal hilft ein Blick zurück beim Sortieren und Klären. Im Verhältnis zwischen Kirche und Staat, Thron und Altar, hat es im Laufe der Kirchengeschichte schon so ziemlich alles gegeben:
    • landesherrliches Kirchenregiment
    • bedingungslose Staatstreue in staatskirchlichen Strukturen
    • eine manchmal heimliche Koalition von Thron und Altar mit unheimlicher Wirkung
    • kirchlichen Segen für nationalstaatliche Kriegspolitik („Gott mit uns!“)
    • Deutsche Christen mit einer ausgeprägten Liebe zum Führerprinzip
    • Bekennende Kirche – manchmal mit mutigen Worten, oft auch zaghaft
    • Staatskirchenrecht und Subsidiarität
    • in einigen europäischen Ländern Trennung von Kirche und Staat
    • Staatlicher Druck auf die Kirche (in der ehemaligen DDR u.a.)
    Es hat fast alles gegeben im Laufe der Kirchengeschichte. Aber beileibe nicht alles ist biblischtheologisch zu begründen. Und ich sage das selbstkritisch: Auch in der reformatorischen Tradition hat es im Verhältnis Kirche – Staat Irrwege und Versagen gegeben. Beim Blick in die Kirchengeschichte ist oft spürbar, wie sehr die Kirche Kind ihrer jeweiligen Zeit ist. Und das gilt auch für uns. Fürchtet Gott, ehrt den König! Das heißt: „Die Anerkennung der staatlichen Autorität (des Königs) hat in der Gottesfurcht ihren Grund und ihre Grenze. Zwischen der Gottesfurcht und dem Respekt vor dem Staat herrscht ein eindeutiges und unumkehrbares Gefälle.“ Das ist das entscheidende Vorzeichen und der wichtigste Orientierungspunkt.

III. These V der Barmer Theologischen Erklärung (BTE)
Die V. These der BTE enthält wichtige Richtungsanzeigen für die Verhältnisbestimmung von Staat und Kirche – auch für den Bereich der Politik insgesamt. Darüber war nicht nur im historischen Kontext (1934) nachzudenken. Darüber ist auch heute in einem demokratischen Staat nachzudenken. Ich möchte mit Ihnen die V. These der BTE entlanggehen:

  1. „Die Schrift sagt uns, dass der Staat nach göttlicher Anordnung die Aufgabe hat in der noch nicht erlösten Welt, in der auch die Kirche steht, nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens unter Androhung und Ausübung von Gewalt für Recht und Frieden zu sorgen.“ Dem Staat an und für sich wird hier keine besondere Würde zugeschrieben. Der Staat an und für sich ist nicht „von Gottes Gnaden“. Aber der Staat hat „nach göttlicher Anordnung“ eine wichtige Funktion: Er hat „für Recht und Frieden zu sorgen“ – notfalls unter Androhung und Ausübung von Gewalt“; das Gewaltmonopol des Staates wird nicht bestritten, aber eingeordnet. Daran ist der Staat zu messen. Das ist die ihm „in der noch nicht erlösten Welt“ zugewiesene Aufgabe. Wir alle wissen: „in der noch nicht erlösten Welt“, „in der auch die Kirche steht“, herrschen keine paradiesischen, keine idealtypischen Zustände. Das kann man schon im „kirchlichen Betrieb“ erleben, und in der Politik setzt sich das ja in ganz anderer Weise fort. Deswegen wird nach dem Maß menschlicher Einsicht und menschlichen Vermögens regiert; d.h. mit Kompromissen, mit Fehlern und Irrtümern, ohne dass Politik dadurch automatisch als schmutziges Geschäft diffamiert werden könnte. Die BTE ist da sehr nüchtern und realistisch.
  2. „Die Kirche erkennt in Dank und Ehrfurcht gegen Gott die Wohltat dieser seiner Anordnung an.“
    Für einen auf diese Weise „Chaos minimierend“ wirkenden Staat, dessen Ziele Recht und Frieden sind, bringt die Kirche Gott (!) gegenüber „Dank und Ehrfurcht“ entgegen. Eben: „Fürchtet Gott, ehrt den König!“
  3. „Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung
    der Regierenden und Regierten.“ Auch der Kirche werden Grenzen gesetzt. Sie übernimmt nicht das (weltliche) Regiment. Einen Gottesstaat anzustreben, ist unvorstellbar. Wo immer er versucht würde, es entstünde am Ende über kurz oder lang meist nichts anderes als „Hölle auf Erden“. Das scheint mir übrigens eine religionsübergreifende Erfahrung zu sein. Die Kirche dominiert nicht! Sondern sie bringt sich gerade auch in einen weltanschaulich neutralen Staat und in eine plurale Gesellschaft erinnernd in den öffentlichen Diskurs ein: Sie erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebote und Gerechtigkeit. Gottes Reich ist der Gegenentwurf zu den bestehenden Verhältnissen. Gottes Gebote sind ein Angebot, damit Leben und Zusammenleben gelingen kann. Und Gerechtigkeit – sie ist ebenso unteilbar wie Recht und Frieden – ist der Stoff, aus dem eine menschliche Gesellschaft entsteht. Die Regierenden tragen Verantwortung. Aber auch die Regierten sind (auch nach dem Wahltag) nicht verantwortungslos, nicht ohne Verantwortung.
  4. „Sie vertraut und gehorcht der Kraft des Wortes, durch das Gott alle Dinge trägt.“
    Die Kirche vertraut der Kraft des Wortes. Sie vertraut der Kraft des Wort Gottes mehr als allen vermeintlichen Sicherheiten. Daraus entsteht auch eine Freiheit, Sicherheiten loszulassen. Das haben wir als Evangelische Kirche im Rheinland im Moment in besonderer Weise zu lernen. Am Ende der BTE steht ein Satz, der reformatorischer kaum sein könnte: Gottes Wort bleibt in Ewigkeit. Der Zuspruch und der Anspruch bleiben (BTE II). Christen bekennen sich zu Christus, dem einen Wort Gottes. In keinem Lebensbereich – Partnerschaften, Beruf, Erziehung, zwischenmenschliches Zusammenleben usw. – sollen Eigengesetzlichkeiten gelten (BTE II). Denn Christus ist „Gottes kräftiger Anspruch auf unser ganzes Leben.“ (BTE II). Glaube hat Bodenhaftung und Lebensbezug, oder er ist frömmelnde Spinnerei. Das gilt auch für die Bereiche Weltverantwortung und Politik.

IV. Konkretionen
Ich will zum Schluss einige Punkte nennen, von denen ich glaube, dass hier viel auf dem Spiel steht: – Nach meiner Wahrnehmung ist der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet, wenn das Auseinanderdriften von Teilen der Gesellschaft droht. Es gibt Familien, die kaum Möglichkeiten haben am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Es gibt Arbeitslose (insbesondere Langzeitarbeitslose), die deutlich zu spüren bekommen, dass sie mit ihren Begabungen in dieser Gesellschaft nicht gebraucht werden. Wir müssen dringend darüber nachdenken, wie Inklusion im umfassenden Sinn in unserer Gesellschaft gelingen kann. – Wir brauchen gesamtgesellschaftliche Anstrengungen, um einen verantwortlichen Umgang mit Zuwanderung, der weltweiten Fluchtbewegung und mit der Integration von Menschen mit Migrationsgeschichten zu erreichen.

  • Manchmal wird von dem einen oder anderen der Werteverfall kritisiert. Ich meine, wir müssen über diesen Punkt viel grundsätzlicher reden. Wir alle haben gelernt, wie man den Wert einer Volkswirtschaft bemisst. Man schaut auf das Bruttosozialprodukt, ahrscheinlich auch auf die Wachstumsraten und andere zählbar Werte. Ich finde, man sieht am besten, welche Werte in einer Gesellschaft zählen, wenn man sich anschaut, wie die Situation pflegebedürftiger, kranker und sterbender Menschen ist. Hier habe ich den Eindruck, dass wir vor großen Herausforderungen stehen, weil es uns viel zu oft noch nicht gelingt, Menschen in den beschriebenen Situationen angemessen zu begleiten und zu versorgen. Die Kirche „erinnert an Gottes Reich, an Gottes Gebot und Gerechtigkeit und damit an die Verantwortung der Regierenden und Regierten.“ Ich habe einige Punkte genannt, von dem ich glaube, dass hier viel auf dem Spiel steht. Ein politisches Programm habe ich nicht entfaltet, sondern im Sinne der Barmer Theologischen Erklärung an das erinnert, was in unserer Gesellschaft aus christlicher Perspektive zählen sollte. In die Diskussion um die genannten Fragen bringen sich Christinnen und Christen aktiv ein.

Predigt vom 24.05.2014 von Präses Manfred Rekowski

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