„Solidarität“
gelesen von Monika Spanier
„Manchmal feiern wir am Tag“
Gesang: Ute Dick und Monika Spanier; Orgel: Sabine Jachmann
Solidarität
Am 1. Dezember 2020 hat ein Amokfahrer mit seinem Geländewagen auf einer Irrsinnsfahrt durch die City meiner Heimatstadt Trier fünf Menschen getötet und weitere 18 zum Teil schwer verletzt. Einen Tag später schrieb mir eine Chorschwester auf ihrem IPhone: „Ich denke sehr an Dich, da ich ja weiß, dass Trier „Deine“ Stadt ist und Du alles unbegreiflich findest.“ Eine Woche später besuche ich meine Mutter in Trier. Auf meinem Weg durch die Innenstadt stoße ich in den Einkaufsstraßen und an der Porta Nigra auf immer neue Gedenkinseln mit Blumen, brennenden Kerzen, Kinderspielsachen. Es sind Zeichen der Solidarität, der Wut, des verzweifelten Mitleidens und der stummen Trauer. Fremde Menschen drücken ihre Fassungslosigkeit aus. Sie ahnen, dass sie selbst jederzeit hilflos solchen Attentätern ausgeliefert sein könnten.
Solidarität ist für mich ein Akt der Verbundenheit. Ich teile mit anderen meine Überzeugung, meine Freude, meinen Glauben, meine Weltanschauung. Ich verteidige meinen Kollegen bei Ungerechtigkeit am Arbeitsplatz. Ich unterstütze meine FreundInnen, wenn sie in Not geraten sind. Ich bin Mitglied der Kirche, der Solidargemeinschaft der Rentner, Krankenversicherten und Sportvereine. Wie viele andere auch habe ich den Soli für den Aufbau Ost nach dem Mauerfall gezahlt, helfe Flüchtlingen mit Geld oder Sachspenden und bete für Opfer von Missbrauch und Gewalt. Sich mit einer Gruppe in Freud und Leid zusammengehörig zu fühlen, gemeinsam um Ziele in Politik und Gesellschaft zu ringen, das ist für mich ein Stück Solidarität.
Im Fernsehen sehen wir Bilder von Menschen, die zu Hunderttausenden auf der Straße für eine bessere Welt eintreten. Dabei schlägt die friedliche Absicht oftmals in Gewalt um. Menschen demonstrieren für einen Wandel in der Gesellschafts- und Klimapolitik und protestieren gegen Krieg und Tyrannei. Hilfsorganisationen sammeln Milliarden an Spenden, um Menschen bei Hungersnöten, Erdbeben oder sonstigen Katastrophen zu unterstützen. Diese Solidarität aber, so erleben wir auch als Christen oft verzweifelt, ist in allem Bemühen allenfalls der Versuch einer Annäherung an Gerechtigkeit.
Im Garten von Gethsemane in Jerusalem hat Jesus die Jünger vor seiner Gefangennahme gebeten, in seiner schwersten Stunde mit ihm zu wachen und zu beten. Die Jünger sind eingeschlafen. Selbst unter besten Freunden hat es mit der Solidarität nicht geklappt. Das mag ein Trost sein, wenn wir in entscheidenden Momenten unsere Aufgabe nicht erkennen und als Mitmenschen versagen.
In Gedanken sitze ich im Raum der Stille im Haus der Kirchen am Hochdahler Markt. Dort steht seit 1992 das Solidaritätskreuz von Johann Peter Hinz. Es zeigt auf einem Sockel drei Stelen. Der gekreuzigte Jesus in der Mitte ist mit seinen ausgestreckten Armen nach rechts und links mit zwei anderen Gekreuzigten verbunden. Der Künstler sieht darin eine Einheit. Der mit Jesus in die Welt gekommene barmherzige Gott teilt das Schicksal der Menschheit in allem Elend und Leid. Arme, Kranke, Verbrecher, Schuldbeladene – sie alle sind ihm nicht egal. Ich sehe in diesem Kreuz ein Symbol dafür, dass Jesus uns seine uneingeschränkte Solidarität da zeigt, wo wir sie anderen schuldig bleiben. Diese Solidarität ist für uns Christen nicht zu überbieten.
Eine Fastenwoche mit viel Aufmerksamkeit für Erfahrungen
von solidarischer Verbundenheit wünscht Ihnen
Monika Spanier