Eine Art Tagebuch VII

Notizen, Gedankensplitter, Begegnungen und Ermutigungen aus nun mehr 2 Monaten Ausnahmezustand

8. Mai:

Die Gedenkveranstaltungen zu 75 Jahren Kriegsende fallen ja in diesem Jahr denkbar bescheiden aus, was aber auch gut tut. Protzige Militärparaden kann ich mir nicht angucken. Ich befrage meine Eltern und Schwiegereltern (Jahrgänge 1934-39) nach ihren Erfahrungen und Erinnerungen und nach Parallelen zur jetzigen Situation. „Von April bis Oktober 1945 hatten wir keine Schule, wir waren Freiwild. Wir konnten tun und lassen was wir wollten.“, sagt mein Vater. Natürlich haben sie auch ziemlich gefährliche Sachen gemacht: Einige Schulkameraden haben sich verletzt beim Hantieren mit Munition. Und Natürlich mussten auch die Kinder ihren Beitrag zum Überleben der Familie leisten (z.B. Wildkräuter sammeln und Kommissbrote „organisieren“).

Das Frühjahr 1945 muss besonders schön gewesen sein, schon im März war immer „Bombenwetter“ (dieses Wort will ich nie wieder benutzen), die Flieger konnten ohne Sichtbehinderung ihre Angriffe fliegen. Meine Mutter wundert sich im Nachhinein, dass sie in der Schule überhaupt was gelernt hat, da die Schule auch nach Kriegsende wegen Diphtherieerkrankungen länger geschlossen war. Aber spätestens seit 1948 hatten meine Eltern sehr engagierte Lehrer, die auch gerade den Kriegswaisen mit Büchern und Schulmaterial ausgeholfen haben. Mein Schwiegervater an der Mosel sollte Französisch lernen, bloß konnten die Lehrer auch keine Fremdsprache. Und meine Schwiegermutter aus dem Rheintaunuskreis weiß noch, dass irgendwann Schule und Gottesdienste aufgrund von Maul- und Klauenseuche ausgefallen sind.

Und gelernt für ihr Leben oder überleben haben sie wirklich genug. Bei meinen Eltern gibt es immer genug Mehl, Kartoffeln, Nudeln und Konserven im Vorrat. Aber mir ist wieder einmal mehr bewusst geworden, mit wie viel Traumata sie groß geworden sind. Nach der Fernsehsendung „Wir Kriegskinder“ konnte ich lange nicht einschlafen. Sammeln Sie Erinnerungen der Kriegskinder, auch wenn es wehtut. Und bleiben Sie im Gebet um den Frieden.

Ihre Pastorin Lieselotte Rönsch

 

PS: Das Gebet um den Frieden kann man auch singen:

Dona nobis pacem – Verleih uns Frieden gnädiglich

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